Kunsthistorische Betrachtung

Gefühlsräume intensivieren sich: Die stilistische Entwicklung der Malerei von Josta Keil

von Dr. Marina Linares

 

Eintauchen in die Welt der Farben, in den schöpferischen Prozess des Malens, offen sein für Stimmungen und Anregungen, zugleich aber den inneren Impulsen folgen, um eigene Ideen zu verwirklichen: Die Bilder von Josta Keil verschmelzen auf intensive Weise Subjektives und Objektives, Innen- und Außenwelt, Selbst und Gegenüber. Im Fokus der Gestaltung steht die Figur – der Mensch, zwischen innerem Erleben und äußerem Erlebtwerden, als dualistisches Wesen psycho-physischer Existenz. 

Schon früh spürt Keil einen Drang zum kreativen Schaffen, den sie im Kunststudium in Obernjesa professionalisiert. Die Künstlerin eignet sich kunsthistorische Kenntnisse,und Gestaltungstechniken an. Sie bleibt dabei der 'klassischen' Ölmalerei treu, bei der das Gemälde auf Basis naturalistischer Zeichenstudien in malerischen Farbnuancen entsteht. Dem Realismus verpflichtet ist die Arbeit mit Modellen und Requisiten, jedoch geht es hier weniger um Abbildung als um Anregung: 

Das Modell – von der Malerin als „Muse“ bezeichnet – dient formal der Erfassung der Proportionen sowie der Strukturierung der Bildkomposition. Körperkonturen, fast in Lebensgröße gezeichnet, werden zwecks freier Farbgestaltung auf die Leinwand übertragen. Inhaltlich fungiert das Modell – zugleich eine visuelle Vorstellung sowie einen emotionalen Zustand verkörpernd – für die Künstlerin als Spiegel des Inneren: Ein dialogischer Prozess entsteht. 

Augen-Blicke verschmelzen, wenn die Malerin das sie anschauende Modell anschaut und dessen Blick auf die Leinwand bannt – Blicke großer, ausdrucksstarker Augen, die für dieses Œuvre charakteristisch sind: Bildnisse im früheren Werk, das Gesicht der zumeist weiblichen Figuren fokussierend, und Bilder größeren Formats im späteren, das Blickfeld auf den ganzen Körper im Raum erweiternd. Parallel entwickelt sich der Stil vom Realismus hin zum Surrealismus verdichteter Szenen. 

An die Ästhetik der Moderne erinnert Semra (2007): Der starke Hell-Dunkel-Kontrast diagonal geteilter Bildflächen lässt Avantgardefotografie assoziieren, Frisur und Hut der Figur in leicht gedrehter Pose ebenso veristische Bildnisse, beispielsweise von Christian Schad. Auch die Dame Im Cafehaus (2007) mag wie ihr Kleid aus der Weimarer Zeit stammen. Die dunklen Farben sowie die kreierte Raumsituation evozieren eine eigentümliche Stimmung: 

Hierbei konkretisiert die dargestellte Szene zugleich Inneres und Äußeres, Fühlbares und Sichtbares, und geht über den Gefühlswert der Farbe hinaus. Das Café, Ort der Geselligkeit und Freizeit, ist hier ein Raum, in dem sich allein die Protagonistin befindet. Der leere Nachbartisch verstärkt den Eindruck von Einsamkeit, Traurigkeit oder Sehnsucht. Die Figur blickt in die Ferne, fast träumend – ähnlich dem Zirkusmädchen (2013), das oben in der Manege sitzt und die Ereignisse im Zirkus zu vergessen scheint. 

In der Entwicklung verändern sich die Bilder: Differenzierte Farbigkeit und narrative Details kleinfiguriger Hintergrundszenen machen die Gestaltung lebendig – Gefühlsräume spiegeln Erleben und Erlebtes, weiten und intensivieren sich. Ob Darstellungen zweier Figuren (SHE came in my life, Serie ab 2018) oder eines Blickaustauschs (La Muse, Serie ab 2020): Indem Keil unmittelbar auf die Leinwand zeichnet, sich von Vorlagen fixer Bildkonzepte löst und zum spontanen Ausdruck findet, wandelt sich ihr Malstil zum Expressiven. 

© Dr. Marina Linares, Kunsthistorikerin (2021)